Medienmitteilung 12.08.2024: Steine auf meinem Weg

SK1Steinmanndli2L1190137: Steinmanndli (Foto: Swantje Kammerecker)
Kein Stein bleibt auf dem anderen, so denken wir oft. Und ein Stein ist nicht unbedingt ein schönes Element, er kann für Belastendes stehen. Doch Dagmar Doll entdeckt bei einem Spaziergang am Löntsch, dass Steine zu einem ermutigenden Zeichen werden können - und von Gott erzählen.
Swantje Kammerecker,
Manchmal denkt man ja, kein Stein bleibt auf dem anderen. Man blicke nur in unsere kleine Stadt Glarus, in der augenblicklich scheinbar ständig abgerissen, geschweisst, gehämmert, entkernt und wieder aufgebaut wird. Oder schauen wir konkret in einen kleinen Ferienort an der Mosel, wo in den letzten Tagen wie aus dem Nichts ein Hotel eingestürzt ist. Und auch sprichwörtlich erscheint unsere Welt ja auch teilweise so, als bliebe kein Stein auf dem anderen. Krieg, Klima, Menschen auf der Flucht, es ist wie ein ewiges Mantra, dem wir uns kaum entziehen können.
Da wird der alltägliche Spaziergang zur Wohltat. Als Hundebesitzerin tue ich das täglich, ob ich will oder nicht und doch merke ich, wie reizvoll es sein kann, kurz die Gedanken baumeln zu lassen. Ich gebe zu, manchmal stellt sich dieses gute Gefühl auch erst im Nachhinein ein. Den Hunden sei Dank, sie fragen nicht, ob ich mich gerade lieber im Liegestuhl räkeln möchte, sie wollen los. Allerlei zu entdecken gibt es auf diesen Spaziergängen. Der Weg an der Löntsch entlang Richtung Klöntal ist mir dabei besonders ans Herz gewachsen. Der würzig duftende Wald, der rauschende Bach, das Vogelgezwitscher und mittendrin die Hunde, die sich nicht satt riechen können. Es geht langsam voran, aber dadurch wird der Blick geschärft. Winzig kleine Blümchen brechen durch den Waldboden in violett, gelb und weiss. Das Wasser lädt die Hunde zum ausgiebigen Bad. Ich schiesse ein Foto mit dem Handy. Alles ist unendlich und voller Frieden. Mein Auge fängt unvermittelt eine hübsche Installation ein. In einen toten Baumstumpf hat jemand ein Fach hineingesägt und in das Fach ein Steinmännchen gebaut. „Wie herzig!“, denke ich und mache noch ein Foto. Meine Gedanken bleiben dort hängen an diesem kleinen Gebilde. Diesem Steinmännchen.
Kein Stein bleibt auf dem anderen, so denken wir oft. An sich ist ein Stein ja auch kein besonders schönes Element. Hart liegt er in der Hand, kalt und grau, rund oder eckig, mit Kanten, Zacken, Spitzen – oder vom Wasser abgeschliffen. Zuerst kalt – nimmt er aber Körperwärme auf. Er hat etwas Urtümliches, ist unendlich alt, bis heute unbeachtet. Unwichtig – bis er vielleicht Teil eines Kunstwerkes wird. Wertlos – ausser er besitzt für einen symbolischen Wert. Unscheinbar – und doch einzigartig und in seiner Weise schön, nutzlos – ausser wenn Menschen seine Eigenschaften nutzen, leblos – und doch mit einer eigenen Ausstrahlung und Kraft.
Steine, viele Steine, Felsen, Berge, Gebirge. Öde, Wüste, Leere. Ohne Steine können wir uns diese Erde nicht vorstellen. Steine am Weg, im Weg. Wegzeichen und Stolpersteine. Steine als Last, bedrückend, niederdrückend, schwer. Steine hart, unverrückbar, felsenfest. Steine als Mauern, Schutz gebend, Geborgenheit schenkend. Ein Herz aus Stein haben, blockiert und versteinert sein. Auf Granit beissen. Heulen, dass Steine erweichen. Steinreich sein. Jemandem einen Stein in den Garten werfen, aber auch in den Weg legen. Es fällt einem ein Stein vom Herzen.
Steine können ein Symbol sein. Zum Beispiel können sie Zeichen sein für eine Aufgabe oder eine Last, für etwas, das jede und jeder mit sich trägt oder schleppt. Ein Problem, eine Sorge. Manches will uns niederdrücken und wird zum Angstgegner. Wir haben Angst um das Wertvollste, um unsere Liebsten, um unsere Gesundheit. Angst, das Falsche zu tun, die falschen Entscheidungen zu treffen, das Flasche zu sagen oder auch nur zu denken. Diese Last drückt nieder, sie schmerzt, sie reibt. Sie nimmt uns die Energie, beugt unseren Körper, lässt uns nervös nach links und rechts schauen. Vielleicht ist der Stein unsere Wut, unser Ärger, unser Zorn. Er blockiert uns, macht uns hilflos und lahm.
Heute ist dieser symbolische Stein die Angst vor dem, was uns täglich an Negativem begegnet.
Diesen symbolischen Stein dürfen abgeben, direkt Jesus übergeben.
„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ (Mt 11,28)
Er fordert uns auf, die Last abzulegen und uns dann aufzurichten, erleichtert, froh, frei, gelassen. Nicht leichtsinnig, sondern erleichtert, dass da einer ist, der bei uns ist und der die ganzen Lasten für uns trägt. Diesen Stein dürfen wir ablegen und vielleicht ein fröhliches Männchen damit bauen.
Gerne lege ich Ihnen noch ein Lied aus dem Gesangbuch (RG 39) ans Herz.
Der Textdichter ist der 1940 geborene reformierte Theologe Georg Schmid. Seine Dichtung dieses sechs Strophen langen Liedes stützt er auf Psalm 62:

Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Denn Er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht fallen werde.

In wunderbarer Weise drückt der Text in unserer heutigen Sprache das Vertrauen aus, dass schon der Psalmdichter beschrieben hat:
Geborgen, geliebt und gesegnet, gehalten, getragen, geführt,
erkennen wir Gott. Er begegnet, wenn Schweigen den Schweigenden spürt.

Wir wären wie brüchige Wände, zerberstend im nächtlichen Sturm,
wenn heute in Gott sich nicht fände Geborgenheit, Tore und Turm.

Wir wären gebildete Toren und Sklaven der eigenen Macht,
im eigenen Lichte verloren, fänd Gott nicht durch unsere Nacht.

Wir wären von Feinden umlauert, uns selbst der gefährlichste Feind,
wir hätten uns ewig bedauert, wüsst Gott nicht, was jeder beweint.

Wir wären ein Nichs unter Sternen, ein Hauch, den die Waage nicht misst,
wär Liebe, was wir nicht mehr lernen, und Gott, was die Erde vergisst.

Geborgen, geliebt und gesegnet, gehalten, getragen, geführt
besingen wir Gott. Er begegnet im Wort, das uns heute berührt.

Dagmar Doll, Denkpause 10.8.2024 (Glarner Nachrichten) Bild: Swantje Kammerecker